Der “Gesunde” Stimmklang und Gesundheit

Was ist ein gesunder Stimmklang? Diese Frage stellen wir uns als Sänger und Gesangspädagogen irgendwie immer, bewusst, vor-bewusst oder unbewusst. Die Frage ist natürlich sehr wichtig, besonders dann, wenn nicht alles so läuft wie wir es gerne wollen. 

Im Vergleich zu anderen Pädagogen, Ärzten, Logopäden und Stimmtherapeuten haben wir unterschiedliche Wahrnehmungsfilter. Kurz und vereinfach gesagt: die erwähnten Berufsgruppen filtern nach KRANKHEIT. Wir Gesangspädagogen filtern nach GESUNDHEIT. Die Studie und das Verständnis von Krankheit ist dabei natürlich auch für uns wichtig, aber in unserer Arbeit geht es hauptsächlich um die gesund funktionierende Stimme. Aufgrund dieses Betrachtungs-Unterschieds ist der Umgang mit den Krankheitsprofis und unseren Studenten oft nicht ganz so leicht.

Ich geb euch ein Beispiel. Während meiner Arbeit an einer Pädagogikabteilung bei einer Deutschen Universität wollte ich Videoaufnahmen von gesunden Vocalis-Muskeln während einer Tonleiterübung finden und vorzeigen. Ich fand bei „Bell Laboratories“ sehr viele Aufnahmen von Krebsgeschwüren, Atrophien, Entzündungen, Stimmbandknoten, Larangitis, Sand-Uhr Glottis, uvm. Aber ich fand, wenigstens damals, keine einzelne Aufnahme von gesunden Stimmlippen für meine gesangspädagogische Klasse. Das ist eine Weile her und ich hoffe es hat sich geändert. Aber als ich Bell Laboratories damals angerufen habe sagte mein Gesprächpartner, dass es keinen Grund gäbe, gesunde Vokalsmuskelbewegungen zu zeigen. Niemand würde sich für „normal“ interressieren und es gäbe keinen Profit darin. Mit anderen Worten: Kein Geld Drin für Bell Labs.

Natürlich war ich GESCHOCKT, bis ich ihre Perspektive verstanden habe. Das ist eine Firma. Sie wollen Profit machen. Die Bewusstseinsfilter und der Fokus liegen woanders! Diese unterschiedliche Filter-Diskrepanz, wie es die Cybernetic, Linguistik und Kommunikationstheorie lehrt, kommt öfter vor. Spezifisch für uns als Stimmpädagogen bedeutet das, dass wir vom gesunden StimmKLANG ausgehen. Krankheitsprofis gehen meistens von dem visuell wahrgenommenen aus, von etwas, das sie geSEHEN haben. 

Das wurde mir blitzartig klar als mir ein Arzt sagte, ich hätte die Stimmlippen und den Kehlkopf eines Baritons. Und das obwohl ich da bereits mehr als 30 Jahre ziemlich erfolgreich als Tenorsolist auf der Bühne gearbeitet habe. Er betonte das dann noch mit der Bemerkung, dass mein Körperbau ebenfalls der eines Baritons sei. Als ich ihm erzählte, dass ich gerade Tamino singe und zusätzlich am Wochenende Rodolfo, sagt er mir, das sei ja wohl nicht möglich. Er hat mich nicht singen hören. Das hat ihn nicht interressiert. Seine Feststellung war PUR visuell basiert. Das ist ein extremes Beispiel, zugegeben. Aber es hat mir deutlich gezeigt, wie unterschiedlich Wahrnehmungsfilter sein können. 

Der Artzt stellt Krankheit fest durch Rötungen, Vergrößerungen, Röntgenbilder, Fehlbewegungen, Entzündungen, usw., und basiert seine Empfehlung darauf. Wenn uns Pädagogen ein Student fragt, ob bei einer Krankheit weiter gesungen werden soll oder nicht, STELLEN WIR DAS DURCH DEN KLANG fest! Hier hilft Wissen und Erfahrung. Jeder von uns Sängern hat Vorstellungen gesungen, als wir leicht erkältet waren. Es ist sogar so, dass uns manchmal eine leichte Erkältung, Entzündung der Atemwege oder der Nasenschleimhaut einen Klangvorteil bringt. Man muss es schon erlebt haben, um es zu glauben. Es ist aber mir und auch Kollegen und Studenten schon mehrmals bestätigt worden.

Für Gesangpädagogen heisst das, dass MANCHMAL, selbst wenn der Arzt Stimmruhe verschreibt, wir trotzdem in der Gesangsstunde etwas brauchbares machen können. Risikoreich, ich weiß, aber manchmal von großem Vorteil. Ich hör jetzt manche allopathischen Leser protestieren, aber lest bitte trotzdem weiter.

Es gibt in der „funktionalen“ Methodik einen Begriff den ich mittlerweile auch von „nicht-funktionellen“ schon gehört habe: „RANDFUNKTION“. Der Begriff bezieht sich auf die Deckschicht oder ‚Epithel‘ des M. Vocalis. Wenn diese Deckschicht quasi allein vibriert, gibt es einen bestimmten Klang und eine bestimmte Resonanz und Impedanz. Es ist unverkennbar.

Bei einem Studenten der krank ist und fragt ob er trotzdem singen soll, ist dieser Klang die Prüfung Nr. 1! Wenn Randfunktion nicht möglich ist, heisst es für mich, in Musa-Vocalis, Gesangsunterricht Wiesbaden: STIMMRUHE! Wenn es in die Tiefe geht und wir mit viel Achtsamkeit es langsam und schonend nach oben bringen, könnten Krankheitssymtome gelindert werden. Ich habe das wortwörtlich hunderte Male erlebt. Wenn Du Deine Erkältung schon mal „weg gesungen hast“, glaubst Du es auch. 

Die zweite „Prüfung“, die ich mit leicht erkrankten Studenten mache, ist folgende: ich bitte sie synchron mit der Einatmung die Hände über den Kopf zu heben. Wenn ein Hustenreiz ausgelöst wird, unterbrech ich den Unterricht und verschreibe Stimmruhe. Wenn der Student dann nur 10 Minuten da war, nehme ich auch kein Geld für die Zeit. Das sieht, wie ich weiß, jeder Gesangslehrer anders und das ist OK so. Meine Gründe sind, wie immer, vielfältig. Wenn sie Dich interressieren, kannst Du mich gerne kontaktieren.

So oder so sind wir Sänger und Pädagogen meistens so etwas wie „Hobby-Apotheker“! Es gibt fast gar keine Sänger die ich kenne, egal welcher Stilrichtung, die nicht etliche „Medikamente“, allopathisch oder homöopathisch, kennen und nutzen. Selbst wenn es nicht „Medikamente“ sind, welche von uns haben nicht irgendeinmal so etwas gesagt wie: „4 Tage Stimmruhe, viel Vitamin C, reichlich Flüssigkeit, warm halten, oft baden, Stress vermeiden oder so viel wie möglich schlafen?“

„Gesundheit“, so wie auch „Fitness“ in die eigene Hand zu nehmen, ist, mMn. ein RADIKALER Akt! Stimmgesundheit für Sänger und für Pädagogen geht vom Klang aus.

Viele Experten sagen viele verschiedene Dinge. Nimm sie ein. Nimm sie ernst. Triff Deine Entscheidung. Lerne davon.

Evan Bortnick

http://www.musa-vocalis.de

http://www.vocalimpactpotential.de

About evanb54

I'm a passionate, curious learning junkie--- an X-Opera Singer turned Voice Teacher, Voice Teachers Teacher, NLP Lehrtrainer, Off-Path Coach, Cranio-Sacral worker and a few other even less mainstream things. Everything I've learned or taught revolves around THE VOICE. The Voice as a tool of artistic expression. The Voice as a tool of emotional transparency. The voice as a tool of flexible communication. If you're interested in voice lessons or vocal pedagogy, please visit this site: https://www.musa-vocalis.de/ There's an English and a German version. If you're interested in voice coaching, public speaking, trainer skills or presentation skills, please visit me here: https://www.vocalimpactpotential.de/ ..and feel free to send any questions. Looking forward to hearing from you! More information can be found at my Institute Site: www.musa-vocalis.de The Wiesbaden Academy of the Vocal Muse Gesangsunterricht Wiesbaden, Coaching, Voice Pedagogy
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